Fehlerkorrigierende Lerntheorien in Drosophila?

In der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts ging man von der Annahme aus, daß eine notwendige und hinreichende Bedingung für Lernen die zeitliche Koinzidenz der zu lernenden Stimuli sei. Moderne sog. fehlerkorrigierende Lerntheorien basieren jedoch auf dem Prinzip des Vorhersagewertes. Nur wenn ein an sich neutraler Stimulus (CS) einen hinreichenden Vorhersagewert für einen dem Organismus wichtigen Stimulus (US) hat, kommt es zu einer Assoziation zwischen den beiden Stimuli. Zentrale Kriterien für diese Lerntheorien sind das "blocking" und das "sensory preconditioning" Phänomen. Beide sind seit Jahrzehnten in Vertebraten etablierte Paradigmen, die zur Aufklärung von Lernmechanismen und in der Entwicklung von Lerntheorien herangezogen werden. Mit einem erfolgreichen "blocking"-Experiment kann gezeigt werden, daß auch wiederholte zeitliche Koinzidenz von (im Kontrollexperiment gut konditionierbarem) CS und US keine hinreichende Bedingung für das Bilden einer Assoziation zwischen beiden ist, wenn der CS keinen Vorhersagewert hat. Ein erfolgreiches "sensory preconditioning"-Experiment zeigt andererseits, daß eine wiederholte zeitliche Koinzidenz von CS und US auch keine notwendige Bedingung für das Erlernen des CS ist.

Angeregt durch Versuche an Bienen in der Arbeitsgruppe Menzel, Berlin, haben wir begonnen, Drosophila am Flugsimulator auf diese beiden Schlüsselphänomene hin zu untersuchen. Ausgangspunkt war der Vergleich der operanten und der klassischen Konditionierung am Flugsimulator. Wir stellen hier die Ergebnisse eines "blocking" und eines "sensory preconditioning" Experiments mit visuellen Stimuli in der operanten Versuchsanordnung vor.

Kontrollversuche haben gezeigt, daß Drosophila während des Trainings einer Kombination (CS1CS2) von Mustern (CS1) und Farben (CS2) sowohl die Kombination als auch die Einzelkomponenten gut erlernt (Abb. 3). Im Experiment der Abb. 1 läge "blocking" vor, wenn der Lernindex nach dem Training mit der Kombination von Farbe und Muster (letzter Testwert) signifikant reduziert wäre. Sowohl bei der Farb- als auch bei der Musterunterscheidung sind jedoch hohe Lernindizes erzielt worden, die im Einzelfall sogar noch (statistisch nicht signifikant) über dem Wert der entsprechenden Kontrollgruppe liegen (Abb. 3). Dieser Befund steht im Widerspruch zu fehlerkorrigierenden Lerntheorien. Er entspricht allerdings einem Ergebnis der Arbeitsgruppe Menzel (Gerber et al., im Druck) beim klassischen olfaktorischen Konditionieren von Bienen.
Das "sensory preconditioning"-Experiment verlief dagegen eher erwartungsgemäß (Abb. 2): 16 Minuten Präsentation von CS1CS2 ohne Verstärker führen nach 8 Minuten Konditionierung auf CS2 (Farbe) in einem nachfolgenden Test zu einer signifikanten Musterpräferenz (CS1, Abb. 2A).

Abb. 1: Symmetrisch angelegtes "blocking"-Experiment. Einem 2x4-minütigen Vortraining mit Lernkontrolle folgen 2x4 Min. Training mit dem Kombinations-CS und, zum Schluß, der entscheidende 2-minütige Test des jeweils zum Vortrainings-CS hinzugefügten Stimulus. Bemerkenswert ist hierbei, daß in Abb. 1B der Lernindex nach dem Hinzufügen des CS2 (Farbe) auf Null abfällt, d.h. die Mustererkennung zusammenbricht. Dies könnte bedeuten, daß der Kombinations-Stimulus ganz neu erlernt werden muß und somit auch der Lernindex am Ende dem entsprechenden Kontrollexperiment entspricht. Damit ergibt sich die Möglichkeit in diesem Teilversuch das Ausbleiben des "blocking" durch eine Kontext-Störung zu erklären. Für den Teilversuch der Abb. 1A läßt sich diese Erklärung allerdings nicht heranziehen. Ähnliche Asymmetrien zeigen sich auch im "sensory preconditioning"-Experiment (Abb. 2).

Abb. 2: Symmetrisch angelegtes "sensory preconditioning"-Experiment.  Einer 16-minütigen Präsentation von Mustern und Farben ohne Verstärker folgen insgesamt 8 Min. Training mit nur einem der beiden Stimuli als CS und einem 4 Min.-Test des jeweils anderen CS. Wie nach dem "blocking"-Experiment (Abb. 1B) zu erwarten, ist es zwar möglich nach einer nicht verstärkten Präsentation von CS1CS2 nur CS2 (Farbe) zu verstärken und damit eine Lernreaktion auf CS1 (Muster) hervorzurufen (Abb. 2A), nicht jedoch im reziproken Fall (Abb. 2B). Der plötzliche Austausch des Weißlichts gegen Farbe unterdrückt das Mustergedächtnis.

Abb. 3: Kontrollexperimente. Einem 2x4-minütigen Kombinations-CS1CS2 Training folgen jeweils Tests für Lernen von CS1 (A), CS2 (B) und einem invertierten CS2CS1, bei dem die Zuordnung von Mustern und Farben vertauscht wird (C). Zwar kann man eine leichte Asymmetrie zwischen den Lernwerten bei A) und B)  erkennen, jedoch geht aus C) hervor, daß keine eindeutige Dominanz des einen CS über den anderen vorliegt, wenn beide sichtbar sind.

Eine detailliertere Diskussion dieser Resultate kann in unserer Publikation "Conditioning with compound stimuli in Drosophila at the flight simulator" (PDF) gefunden werden.
 

 
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